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CD Rezensionen:
Christian Wolff • Kompositionen 1950 – 1972 ed. RZ 1023-24 2011
Volker Heyn • Sirènes ed. RZ 1025 2011
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Hörprozesse.
"Ich mache keine Objekte, ich mache die Möglichkeit, einen Prozess zu realisieren" (Ch. Wolff bei der VAMH Präsentation 10.4.08). Ein Hörobjekt mit 17 Tracks erschien 2011 bei der Edition RZ, 2 CDs mit Kompositionen 1950–1972 von Christian Wolff.
Fünf davon mehrfach interpretiert von Musikern mit denen Wolff arbeitete: C. Cardew, K. Rowe, F. Rzewski, D. Tudor. Zu Beginn das Duo for Violinist and Pianist (1960 für K.Kobayashi und D. Tudor geschrieben), mit 15:46 der längste Track, verlegt den Komponiervorgang in die Aufführung.
Eine Anzahl von Tonhöhen, Artikulationsmöglichkeiten, ein Koordinatensystem, "verklammerte Zeiteinheiten mit Sekundenangaben, gefolgt von Anweisungen, die zahlreiche Momente der Indeterminierung in das Musizieren bringen": "Der eine Spieler beginnt mit einem Klang und hält ihn so lange, bis er einen zweiten vom anderen Spieler hört (ohne zu wissen, wann dieser ertönen wird)", oder, der eine Spieler soll nicht aufhören, bevor der andere einsetzt, "während dieser nicht anfangen soll, bevor der andere sein Spiel beendet hat".
For Pianist (1959), reagiert auf D.Tudor, "der ein Stück stets im vorhinein vollkommen ausarbeitete", mit der Vorgabe von Wegen, "die sich manchmal verzweigen, überschneiden und den Pianisten in labyrinthische Komplikationen verwickeln können". Zwei Versionen von Frederic Rzewski dynamisch, präsent, als würde er sich selbst bei der Interpretation beobachten um im nächsten Moment energisch einzugreifen.
Mit dem vielleicht typischen Zeitgefühl, das sich bei der Interpretation von offenen Partituren einstellt. David Tudor in einer dritten Version zögernd, dann abrupt nah. Ähnlich bei For 1, 2 or 3 People 1964), das seine zwei Aufnahmen von einer Barockorgel auf eine Mono Spur bringt. Eine mit der Tastatur und eine im Innenraum der Orgel produzierte, mit präparierten Ventilen, perkussiv bespielten Pfeifen und Kontaktmikrophonen, die leiseste Klänge verstärken. Authentisch wie eine Patina wirkt hier das gelegentliche Knistern der Schallplattenquelle.
Fast behutsam, entfernter die Interpretation des Nelly Boyd Trios 40 Jahre später aus der Christianskirche in Hamburg. Sehr verschieden die beiden Versionen von Edges (1968), einer graphische Partitur, die "gewissermaßen ein Fotonegativ ist, dessen Positiv durch die Aufführung realisiert wird": das Quintett Gentle Fire schichtet aus elektronischen, instrumentalen und Mischklängen dramatische Bögen, Keith Rowe knispernd, eine Radiostimme, Rauschen – kann das Fenster geöffnet bleiben ?
Volker Heyn begann in den 70er Jahren, mit Mitte Dreißig, "erste Unternehmungen in Komposition".
Mit Sirènes liegt nun die erste CD vor mit 10 Einspielungen seiner Arbeiten, hier vorwiegend für Streicher.
K'TEN für Kontrabass, Violine, Klavier und Perkussion (2005), eine Studie von 4:30 Länge, eröffnet die CD mit einem pulsierenden Lamento, das wenig später zerfasert, die Dialogversuche zwischen Streicher und Perkussion halten sich kurz, verstummen. Zuletzt, wie eine offene Frage, bleibt Stille.
Wird gespiegelt in der folgenden "Konstruktion für viermal vier Saiten", Sirènes für Streichquartett (1983), die, bei dreifacher Länge, einer ähnlichen Dramaturgie folgend sich aus einer "einzigen Tönhöhe" dreht in ein "Gefühl für … vergehende Zeit … und Gegenläufige Zeit".
"Reine Friktionsmusik, geriebene und gestrichene Metallplatten, mehrspurig geschichtete Zugbremsen" in den folgenden Préludes zu Ferro Canto, Fragmente #1,#2,#3 (1989) – Tonbandarbeiten, die das Orchesterwerk Ferro Canto ankündigen sollten, dessen Premiere zweimal als "unspielbar" abgesagt wurde. Im Blues in B-flat (1981) für Violoncello solo wird der "Performer aufgerufen, als ein Erfinder zu agieren was Ton- und Geräuschstrukturen betrifft". Den einen Ton anstreichen, laut machen, mit starkem Bogendruck die Geräuschanteile hervorheben, Dynamiksprünge: Blah 2 für Violine solo und 7 Violinen vom Zuspielband (1985) variiert diese Formensprache, endet abrupt in einer Pause.
Resurrection #1 für Klavier, Kontrabass und Zuspielband (2000), Ross Hazeldine schickte das Zuspielband von der Demolierung einer Stahlskulptur in Menschengestalt mit dem Auftrag, um dessen Klang sechs individuelle Stücke zu komponieren.
Les Visages des Enfants für Streichquartett (2004–2004), fängt "die Chemie eines Szenarios" ein, "die Lügen und die Halblügen" der Politiker zur Irak-Invasion. Mitgehört während der Komposition an dem "Reservat von Tönen und ready_made Intervallen" transponierte er die "Auszüge der Radio-Reportage" in Wiederholungen eines "sparsamen, fein ziselierten" Materials. Zeitknappheit, wie beim Erstellen eines Graffiti: innerhalb von acht Minuten bearbeitete Blätter werden die graphische Vorlage zur Partitur von Graffiti, Risse für 4 Holzbläser, Klavier und 3 Streicher (1998–1999).
Die CD Beihefte informieren kenntnisreich über beide Komponisten und ihre Werke.
eine etwas kürzere Version erschieb im August 2012 in Positionen. Texte zur aktuellen Musik, Heft 92 |
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Wurzeln - in dem Kontext von: " meine Wurzeln sind Klassik und deutsche Volkslieder"...
Bin immer wieder mal verblüfft von diesem Satz, wobei Klassik und Volkslieder austauschbar sind, durch Punk, Reggae, Neue Musik oder was auch immer - anders gesagt, das Verblüffende sind nicht die musikalischen Kategorien, sondern dieses "meine Wurzeln". Das sagt eine Mensch, der offensichtlich keine Wurzeln im pflanzlichen Sinn hat und haben kann, dessen horizontale Beweglichkeit mit dem vertikalen Bewegungsapparat Füße und Beine sich auf der Boden-Luftgrenze abspielt, ganz im Gegensatz zum pflanzlichen Wachstum in der Erde. Welcher Wachstum wird mit dem anfangs zitierten Satz vorstellbar? Die "Wurzeln sind", also ist das Wurzelwachstum nicht der Aussageschwerpunkt des Satzes. Wie wäre: "meine Wurzeln werden Klassik und deutsche Volkslieder" - zunächst ungewöhnlich, macht dieser Tausch von "sind" gegen "werden" einen dynamischen Wechsel: ein Subjekt wächst mit seiner Kenntnis und dem Austausch mit den musikalischen Kategorien in diese Kategorien, wurzelt sich in diesen kategorialen Humus. Hingegen bleibt der Humus in dem "sind-Satz" ohne Kategorie im Verborgenen, während die Wurzeln zwei Etiketten erhalten: Klassik und deutsche Volklieder. Durch diese beiden Wurzeln fließt der Austausch von was auch immer dem Subjekt zu (und wohl auch ab?), worin die Wurzeln wurzeln beibt ungesagt. Können diese Wurzeln wachsen, sich ausbreiten, mit neuen Nahrungsquellen verbinden? Schwer vorstellbar bei der Wurzel mit dem "Klassik" - Etikett. "Klassik" als historisierende Kategorie wird eher der Sammlung von Artefakten, dem Museum verglichen, und im Museum ändern sich in den selteneren Fällen die Artefakte, doch bieten die ausgestellten Stücke sich der Betrachtung und realer Gegenwart an, können mithin kognitiv initialisieren. Und hier öffnet sich ein Bewegungsfeld, die Erkenntnis von was auch immer, eingegrenzt vom Begriff: .....
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am 12.4.04
da das dann alltäglich wird, verliert sich die Anspannung und das Schreiben mutiert nicht zur Propaganda
--11.10.2001 |